Demographie-Blog

4 Fragen zur agilen Führung – Dr. Marion Friers von den Frankfurter Rotkreuz-Kliniken antwortet

Dr. Marion Friers
(c) Die Hoffotografen

„Agil“ ist das Schlagwort der Stunde. Die Digitalisierung und der demographische Wandel fördern ein Umdenken in den Führungsetagen. Wie reagieren Unternehmen und Organisationen darauf?
Antwort darauf geben in der neuen Interview-Reihe führende Praktiker aus Unternehmen und Organisationen.

Die Fragen im heutigen Interview hat Dr. Marion Friers beantwortet. Sie leitet den Geschäftsführungsbereich Personal, Pflege & Kommunikation bei den Frankfurter Rotkreuz-Kliniken.

1. Warum brauchen die Frankfurter Rotkreuz-Kliniken heute agile Strukturen?
Seit vielen Jahren sind Krankenhäuser mit massiven Veränderungen konfrontiert, nicht nur gesellschaftlich, oder medizinisch sondern auch, was Qualitätsanforderung, die Zunahme von Bürokratie und gesetzlicher Vorgaben betrifft. Der sichtbarste Auslöser des Wandels ist sicherlich in der Krankenhausfinanzierung zu sehen. Hinzu kommt, dass die Veränderungen in einer nicht gekannten Dynamik und Komplexität stattfinden.

Konsequenz ist eine deutliche Zunahme der Wettbewerbsintensität. Bisher war die vorherrschende Reaktion im Krankenhausmanagement das Instrument der Kostenreduzierung, vorzugsweise im Bereich der Personalkosten. In den Frankfurter Rotkreuz-Kliniken sind wir der Auffassung, dass diese Handlungsweise überreizt ist, denn Qualität der Patientenversorgung hat eben vor allem mit gut qualifizierten und motivierten Mitarbeitern zu tun. Wer also Wirtschaftlichkeit und Qualität gleichermaßen im Fokus hat, der darf nicht bei Arbeitsverdichtung stehen bleiben, sondern muss echte Effizienzressourcen in der Aufbau- und Ablauforganisation identifizieren und eine Anpassung der Organisationsstrukturen und Prozesse vornehmen.

Dazu brauchen wir die Kompetenz und Entscheidungskraft unserer Mitarbeiter. Keiner weiß besser, wo Schwachstellen in einer Organisation sind, als die Mitarbeiter selbst. Wir wollen Betroffene zu Beteiligten machen. Hinzu kommt, dass Organisationen mit Unsicherheiten umgehen müssen, weil Veränderungen auch immer schneller zu bearbeiten und zu bewältigen sind. „Agilität“ ist aus unserer Sicht deshalb eine Frage der Zukunftsfähigkeit, keine Modeerscheinung. Von diesem Gedanken geleitet, haben wir Ende 2016 das Projekt „Abenteuer Agilität“ aufgesetzt.

2. Was sind aus Ihrer Sicht die relevanten Kriterien für eine agile Führung?
Im Krankenhaus findet man vielfach noch das Führungsverständnis „command & control“, verbunden mit einem intensiven Silodenken von Berufsgruppen.
Wir sind der festen Überzeugung, dass ausgeprägtes Hierarchiedenken und starre Führungsrichtlinien ausgedient haben. Und zwar nicht nur wegen der Generation Y, sondern weil einer alleine nie die richtige Lösung finden kann, dazu sind die Themen zu komplex.

Aus unserer Sicht geht es darum, sich flexibel auf Veränderungen einstellen zu können und das geht nur, indem man auf die Kompetenzen von multifunktionalen und interdisziplinäre Teams setzt, die gemeinsam schnell Lösungen entwickeln, immer die Bedürfnisse des Patienten im Blick. Es geht um permanente Weiterentwicklung und ständiges Lernen. Kreativität ist gefragt, Innovationsfähigkeit und die Freude, daran Bestehendes ständig in Frage zu stellen. Damit sind schon wichtige Kriterien agiler Führung genannt. Voraussetzung ist eine offene Kommunikation und ausgeprägte Feedback-Kultur. Und das Fundament agiler Führung ist das Vertrauen auf die Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeiter, um Selbstorganisation und Selbstverantwortung nicht nur zu ermöglichen, sondern aktiv zu fördern.
Gerade hier ist dann auch Selbstführung ein wichtiges Thema.

Für uns ist agile Führung deshalb viel mehr eine Haltung. Eine Veränderung der Unternehmenskultur, ein sozialer Wandel in der Organisation. Deshalb haben wir es ja auch mit der Organisationsentwicklung verknüpft. Deshalb geht es auch nicht darum das Unternehmen agiler zu machen, sondern Agilität als Maßstab zu begreifen, ein Maß, das im Übrigen wird auch je nach Bereich variieren kann.

3. Wie bedeutsam sind Werte innerhalb agiler Organisationsstrukturen?
Werte sind in jeder Organisation von immenser Bedeutung. Sie bestimmen die Unternehmenskultur und bilden das Fundament. Sie geben Orientierung. Was agile Organisationsstrukturen betrifft, sind wir der Überzeugung, dass Agilität selbst eine Wertehaltung darstellt. Wenn agile Organisationsstrukturen „funktionieren“ sollen, dann muss die Organisation – oder besser gesagt, müssen die Menschen in der Organisation – agile Werte erkennen, annehmen und leben.

Agile Werte sind für uns, Werte wie: Respekt, Mut, Offenheit für Neues, Commitment, Feedback, Fokussierung, Innovationsfähigkeit, Kreativität, unternehmerisches Denken. Führungskräfte sind hier besonders gefordert, sie sind Vorbild. Und sie müssen „loslassen“ und vertrauen können. Deshalb geht es bei Werten innerhalb agiler Organisationsstrukturen auch immer darum, die Menschen zu entwickeln, agile Fähigkeiten und Denkweisen aufzubauen.
In den Frankfurter Rotkreuz-Kliniken verfolgen wir dies mit einer breit angelegten Führungskräfteentwicklung. Die andere Seite der Organisationsentwicklung.
Darüber hinaus ist es für uns wichtig dieses Mindset „Agilität“ mit unseren Unternehmenswerten der Rotkreuz-und Rothalbmondbewegung zu verbinden. So entstehen neue Wege, die unseren Leitlinien verbunden bleiben.

4. Welche Kernelemente enthält das neue Change-Programm der Frankfurter Rotkreuz-Kliniken?

„Abenteuer Agilität“ ist ein Projekt der Organisationsentwicklung. Die Organisationsentwicklung ist immer partizipativ, sie setzt gezielt auf gruppendynamische Prozesse. Der „Change“ soll nicht von oben verordnet werden, vielmehr geht es um einen echten sozialen Wandel. Die Organisationsentwicklung arbeitet über Projekte. Die Projektfestlegung folgte bereits einem ersten moderaten, agilen Reflektionsprozess, gemeinsam mit den Abteilungsleitern und Führungskräften.

Um die Projekte zu identifizieren, wurde herausgearbeitet, welche Aspekte der Unternehmensorganisation erhaltenswürdig sind, und bei welchen Veränderungsbedarf besteht. Durch diese sehr intensive und auch leidenschaftlich geführte Diskussion haben sich schließlich fünf Hauptprojekte herauskristallisiert:
1. Strategische Personalentwicklung
2. Digitalisierung
3. Patientenorientierte Krankenhausversorgung
4. Medizinische Leistungssteigerung
5. Medizinische Qualitätssteuerung
Diese Projekte waren eigentlich keine Überraschung, es sind die großen Themen des aktuellen Krankenhausmanagements.

Die Projekte haben ihre bis dato definierten Meilensteine alle erreicht, aber das ist nicht der eigentliche Erfolg.
Mit dem Fokus auf die „Agilität“, ist der eigentliche Erfolg für den sozialen Wandel in der Organisation, dass sich über die Arbeitsweisen in den Projekten – die Projektteams sind multifunktional und interdisziplinär aufgestellt – neue Denk – und Arbeitsweisen etablieren, wenn man so will, ein „Mehr an Agilität“. Althergebrachte Strukturen brechen auf. Über mehrere „Berufsgruppen“ und „Abteilungen“ hinweg, wird an innovativen Konzepten gearbeitet. Alle wissen, dass sie für diese Konzepte gemeinsam Verantwortung tragen. Das Verständnis füreinander und die Fähigkeit zu offener Kommunikation hat sich deutlich entwickelt. Und es werden darüber hinaus – quasi nebenher – bereits Ineffizienzen in den Abläufen identifiziert. Die neuen Konzepte werden in permanenten Feedbackschleifen auf gemeinsam definierten Reflexionsplattformen, in diesem Fall monatliche Treffen von Abteilungsleitern und Chefärzten, auf den Prüfstand gestellt. Klassische iterative Vorgehensweisen haben Einzug gehalten.

Für Krankenhäuser ist das schon beachtlich. Und wir stehen erst am Anfang. Großer Widerstand hat sich noch nicht geregt, eben weil alle eingebunden sind, entweder direkt über die Projekte oder durch eine intensive Projektkommunikation.

Vielen herzlichen Dank für die Beantwortung der Fragen
Rolf Dindorf


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