Wir leben in der Hochzeit der Selbstdarsteller. Gut verkaufen, gut verpackt. Schaumschläger dürfen sich freuen. Unternehmen haben das Casting entdeckt.
„Weg vom glatt gebügelten Lebenslauf, hin zur individuellen Persönlichkeit – das wünscht sich die Lindner Hotels AG von ihren neuen Mitarbeitern – die „Explorer“ genannt werden – für das neue „me and all hotel“, schreibt RP online. Wie individuell und authentisch ist jemand, wenn er sich konsequent auf diese Art von sogenanntem Bewerber-Casting einlässt?
Daimler: „Eine Anforderung der Bewerbung, die Business Insider zugespielt wurde, erinnert eher an eine Aufgabe, die Job-Bewerbern in jungen Startups in Silicon Valley gestellt wird. Darin heißt es, die Bewerber hätten maximal drei Minuten Zeit, ihre „Person uns gegenüber anhand eines Buches, Filmes oder Songs zu präsentieren und Ihren bisherigen Werdegang darzustellen.“ Bei der Bewerbung handelte es sich um einen Bürojob im Rechnungswesen, also nicht gerade der Inbegriff eines kreativen Jobs.“
Sind für die ordnungsgemäße Ausführung im Rechnungswesen Schauspieler und Komparsen bei Daimler gesucht? Zählt das Wissen über wirtschaftliche Zusammenhänge nichts mehr?
Deutsche Bahn: „Bewerber müssen uns auch nicht unbedingt ein Anschreiben schicken. Stattdessen kooperieren wir mit dem Berliner Start-up Jobufo, über das uns Bewerber mit deren App ein 30-sekündiges Video von sich schicken. So erleben wir die Jugendlichen…“, äußert sich Kerstin Wagner im Tagesspiegel.
Ein 30-sekündiges Video als Auswahlkriterium für einen Job? Was ist eigentlich mit den stillen Menschen? Unbrauchbar? Warum verzichten Unternehmen auf ein solch großartiges Reservoir an fähigen Mitarbeitern?
Professor Kanning sagt in der „Zeit“ zurecht: „Die Diskrepanz zwischen wissenschaftlichen Erkenntnissen und der Einstellungspraxis ist riesengroß. Eigentlich müsste man Bewerbern fast schon raten, den Personaler anzulügen. Erzählt einfach, ihr wärt Marathonläufer!“ Und weiter: „… bei Castingshows sehen wir ja auch, dass man nicht unbedingt etwas können muss, um weiterzukommen. Wenn Menschen denken, sie müssten sich nicht mehr weiterentwickeln, und offensives Auftreten reicht, ist das verheerend.“
Aufwachen, Personaler. Unfug beenden!
Neueste Artikel von Rolf Dindorf (alle ansehen)
- Demographischer Wandel im Vergleich: Indien und Deutschland - 19. April 2024
- Demographischer Wandel in Deutschland – die Uhr tickt - 10. April 2024
- Wie lässt sich der Austausch zwischen Babyboomern und Generation Z fördern? - 10. März 2024
Kommentar verfassen